Juristische Wege zur Eigenstaatlichkeit

Eine der häufigsten spontanen Entgegnungen auf die Bayernpartei und ihr Unabhängigkeitsstreben ist ein teils ungläubiges, teils empörtes “Das geht doch gar nicht”. Dies ist kaum verwunderlich, da in der politischen Diskussion in keinster Weise auf das Thema eingegangen wird. Auch die Staats- und Völkerrechtswissenschaft behandelt die Problematik mehr als stiefmütterlich.

Dieser Text soll zeigen, welche Begründungsmuster für ein bayerisches Loslösungsrecht herangezogen werden können. Die hier vorgestellten Ansätze erheben keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Auch kann kaum mehr als eine oberflächliche Nennung der jeweiligen Argumentation und Rechtsgrundlage erfolgen; ein umfassende Darstellung aller Meinungen, Einwendungen und Diskussionsstände würde ganze Bibliotheken füllen.

1. Selbstbestimmungsrecht der Völker (Art. 25 Satz 1 GG, Art. 1 Nr. 2 UN-Charta)

Das Grundgesetz kennt kein Austrittsrecht der einzelnen Länder, erklärt aber über Art. 25 I internationales zu deutschem Recht. Hierzu gehört auch die UN-Charta, die in Art. 1 Nr. 2 das Recht der Völker auf Selbstbestimmung konstituiert. Die Bayern, möglicherweise sogar die bayerischen Stämme für sich, stellen ein Volk im Sinne der Vereinten Nationen dar und können damit auch das Selbstbestimmungsrecht für sich beanspruchen.

2. Analogie zur Länderneugliederung (Art. 29 GG)

Im Grundgesetz ist vorgesehen, dass sich Länder neu gliedern, also bspw. Ihre Grenzen verschieben oder sich vereinigen können. In der Regel ist dafür ein Volksentscheid vorgesehen. Für den Austritt aus der Bundesrepublik ist diese Vorschrift ausweislich ihres Wortlauts nicht gedacht, sie könnte aber analog angewandt werden: Wenn anerkannt ist, dass sich Länder ohne Einmischung des Bundes umbilden können, dann ist auch eine völlige Wiedererlangung ihrer Staatlichkeit denkbar.

3. Theorie des Bundesvertrags

In der Rechtswissenschaft ist anerkannt, dass jeder auf Dauer angelegte Vertrag auch ohne explizite Vereinbarung gekündigt werden kann. Betrachtet man das Grundgesetz als den Vertrag, der die Bundesrepublik historisch hat entstehen lassen und noch immer deren staatliche Belange regelt, so sind alle Länder autonome Vertragspartner. Die damalige Vorgehensweise der Ausformulierung durch den Parlamentarischen Rat und die anschließende Ratifizierung durch die Volksvertretungen legt diese Betrachtung nahe. Auch die Tatsache, dass der bayerische Landtag dem Grundgesetz nicht zugestimmt, aber trotzdem dessen Geltungsbereich auf Bayern erstreckt hat, spricht deutlich dafür. Als Vertragspartner kann der Freistaat nicht auf ewige Zeiten an den einmal geschlossenen Vertrag gebunden bleiben.

4. Theorie der Parlamentarischen Äquivalenz

Konnte der Landtag des Jahres 1949 Bayern wirksam vertreten, so muss dieses Recht grundsätzlich auch den folgenden Landtagen zustehen. Wäre die einmal erklärte Zustimmung für immer verbindlich und unwiderruflich, so wäre die Macht des heutigen bayerischen Landtags erheblich beschränkt. Zwar sind Staatsorgane unbestritten an ihre früheren Entscheidungen, auch an diejenigen vorheriger Wahlperioden unter teilweise anderen Mehrheitsverhältnissen, gebunden, jedoch kann diese Bindung nicht unbeschränkt sein. Nach einigem (nicht genau bestimmbarem) Zeitablauf muss der Landtag jedenfalls neu disponieren können.

5. Analogie zum Beitritt (Art. 178 BV)

Der Beitritt zum Grundgesetz erfolgt gemäß Art. 178 der Bayerischen Verfassung in freier Selbstbestimmung des bayerischen Volkes. Nichts anderes kann für den Fall eines Austritts gelten. Zwar steht das Bundesrecht, das einen Austritt gerade nicht kennt, über dem Landesrecht, aber doch ist im Licht von Art. 178 BV die Beitrittserklärung so zu interpretieren, dass Bayern auf sein Austrittsrecht nicht verzichtet hat. Auch war der Landtag selbstverständlich an die Verfassung gebunden und konnte nicht mehr erklären als diese erlaubte – und das ist gemäß Art. 178 BV eben nur ein freiwilliger Zusammenschluss. Freier Wille muss dann aber nicht nur im Zeitpunkt der Gründung, sondern während der gesamten Bestandsdauer des Bundes gegeben sein.

6. Theorie des auflösend bedingten Beitritts (Art. 178 BV)

Diese Ansicht wandelt die Beitrittsanalogie entsprechend ab: Art. 178 verpflichtet zur Sicherung der existenziellen Staatlichkeit Bayerns. Die Beitrittserklärung des Landtags kann dementsprechend also nur mit der impliziten Bedingung der Bewahrung der bayerischen Souveränität verstanden werden.

7. Demokratisch-rechtlicher Ansatz (Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 GG)

Das Grundgesetz bekennt sich in Art. 20 umfassend zum Demokratieprinzip. Diese Demokratie kann aber nur dann als gewährleistet angesehen werden, wenn sich Mehrheiten auch unterhalb der Bundesebene bilden können; dies ergibt sich auch aus dem Föderalismusprinzip. In ureigenen Angelegenheiten muss daher auch den Mehrheitsverhältnissen in einzelnen Ländern eine selbständige Bedeutung zukommen.

8. Entrechtlicht-politischer, demokratisch-faktischer Ansatz

Die Demokratie ist aber nicht nur rechtlich anerkannt, sie ist ein unbestrittenes Merkmal der Bundesrepublik und ihres politischen Prinzips. Eine Abstimmung, bei der die Bayern mit großer Mehrheit für die Loslösung stimmen, könnte nicht einfach ignoriert werden. Der Volkswille ist, völlig unabhängig von der rechtlichen Grundlage für die Abstimmung, zu respektieren. Faktisch könnte es sich keine Bundesregierung leisten, entgegen eines eindeutigen Referendums von Bayern weiter Loyalität zum Bund zu verlangen, ohne dass ihr Demokratiedefizite vorgeworfen würden.

Resümee

Wie sich gezeigt hat, gibt es viele nachvollziehbare und durchdachte Theorien, die die Zulässigkeit einer bayerischen Unabhängigkeitserklärung stützen. Fraglos kann man gegen jede von ihnen Argumente finden; aber allein die Fülle dieser Überlegungen widerlegt das Vorurteil, die Bestrebungen der Bayernpartei seien irrational, unbegründet oder gar illegitim.

Der letzte Ansatz führt schließlich alle juristische Argumentation ein wenig ad absurdum; er trägt daher auch das Etikett “entrechtlicht”. Schließlich zeigt er auch, dass alles rechtliche Dürfen im Endeffekt dem politischen Können untergeordnet bleibt: Denn den Kampf um die bayerische Unabhängigkeit werden wir vor keinem Gericht, sondern nur an den Wahlurnen gewinnen.